LAND – LANDSCHAFT – LANDSCHAFTSGARTEN

 

Landschaft als Malerei kennt jeder. Landschaftsmalerei hat eine lange Tradition. Landschaft als Skulptur, das ist ungewohnter. Noch ungewohnter, ja überraschend, sind die Landschaftsskulpturen von der in Sanspareil und Frankfurt lebenden Künstlerin Sigrid Carl. Auch wenn es so aussieht, als wären sie aus der Erdoberfläche wie mit einem riesigen Spaten herausgeschnitten, so sind sie nicht erdenschwer, sondern leicht und empfindlich. Diese Irritation ist durch das Material der Skulpturen bedingt: Kunstharzschaum. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Sigrid Carl mit diesem in der Kunst bislang nur von ihr verwendeten Material, aus dem sie ganz klassisch als Bildhauerin bzw. eher Bildschnitzerin die Landschaft herausarbeitet. Der fragile Kunstharzschaum vermittelt in idealer Weise, was Landschaft für die Künstlerin ist: Sensible Oberfläche mit Schwingungen, Krümmungen, Strukturen, sehr verletzlich und gefährdet. 

 

Die Landschaftserfahrung, die hinter ihnen steckt, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine der „Erfahrung“. Nicht wie im neunzehnten Jahrhundert, wo Landschaft in ihrer Oberflächengestalt langsam, beim Gehen, oder allenfalls in der gemächlichen Geschwindigkeit einer Kutsche erlebt wurde, bei Sigrid Carl ist es das „Erfahren“ mit dem Auto. Das zeigt sich deutlich in ihren Arbeiten. Der Blick ist nicht auf Nähe gerichtet, etwa auf Pflanzen, die direkt vor den Füssen des Wanderers liegen, sondern auf Ferne. Die Geschwindigkeit beim Fahren mit dem Auto erfordert den Weitblick, die Übersicht und sie bewirkt gleichzeitig auch eine ganz eigene Erfahrung von Schwingungen und Krümmungen, die sich beim bloßen Gehen so nicht einstellt. Im Gegensatz zum Überfliegen der Landschaft im Flugzeug, bei dem der Blick schweift, behält der fahrende Betrachter gleichwohl die Bodenhaftung. Dies wird gerade auch durch die Blockhaftigkeit der Arbeiten von Sigrid Carl direkt augenfällig. Die den Skulpturen zugrunde liegende Landschaftserfahrung ist also eine zeitgemäße, eine mit dem Fortbewegungsmittel Auto erlebte. So ist es passend, dass zu den ersten Ausstellungen im Fränkischen „Innen Land“, die vor sechs Jahren wie die gegenwärtige auch im Comoedienhaus von Schloß Fantaisie stattgefunden hat, und „Ferne Orte“, die im Morgenländischen Bau in Sanspareil zu sehen war, von Sigrid Carl eine „Fahranweisung“ von Sanspareil nach Donndorf mitgeliefert wurde. Diese wurde von ihr als zu ihren Ausstellungen zugehörig angesehen – Fahren zwischen zwei Orten als Kunsterlebnis gewissermaßen. Selbige Route ist nach wie vor im Internet zu finden und steht in sinnhafter Wechselwirkung zu ihren Arbeiten. Nach der Betrachtung der Arbeiten kann Autofahren zu einem neuen Landschaftserlebnis werden. Insofern sind ihre Arbeiten trotz des traditionsschweren Themas Landschaft überaus modern und Ausdruck einer uns allen heute alltäglichen Erlebensweise von Landschaft.

 

Schloß Fantaisie und sein Park ist für die Skulpturen von Sigrid Carl überaus passend: das Schloß beherbergt das Gartenkunstmuseum und veranschaulicht eine ganz andere Form des künstlerischen Umgangs mit Landschaft, den „Landschaftsgarten“. Mit ihm wird in der Natur selbst, sozusagen original und eins zu eins durch sensiblen und überlegten Umgang mit von schon Vorhandenem, wie Bäumen, Lichtungen, Hügeln und Felsen, ein schon angelegter Charakter vom Menschen verstärkt und ein Landschaftsbild gärtnerisch geschaffen. So werden etwa Wege an die natürliche Oberfläche angepasst gestaltet, so dass es wirkt, als seien sie immer schon dagewesen, vorhandene Felsen durch Freilegung zwar gegebenenfalls betont, aber nicht beseitigt, Bachläufe vielleicht künstlich angelegt, aber so verlaufend, als hätte sich das Wasser selbst seinen Weg gesucht.

 

Infotext zur Ausstellung „Landschaft“ im Comoedienhaus von Schloß Fantaisie bei Bayreuth, 2012